„Wir werden das schon irgendwie hinbekommen“ – Mit Assistenzhund in ein besseres Leben
Ans Handy hatte sie ja gedacht. Es lag auf dem Badezimmerschrank. Doch dann war sie gestürzt. Und das rettende Telefon plötzlich unerreichbar. Nina Hoffmann hat progressive Muskeldystrophie. Eine unheilbare Erkrankung, die alle Muskeln immer mehr lähmt. Ohne Emily hätte sie wohl lange auf Hilfe warten müssen. Doch ihre Assistenzhündin wusste genau, was zu tun war, und holte Nina das Handy. „Dann hat sich neben mich gelegt. Ist einfach neben mir liegen geblieben – bis jemand kam. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was das mit einem macht!“
2007 kam Emily in Ninas Leben. Zwei Jahre lang war die Labrador-Hündin ausgebildet worden, um Menschen mit Handycap zu helfen. Beim Verein Vita Assistenzhunde im Westerwald. Dort weiß man: Assistenzhunde sind weit mehr als praktische Helfer – sie sind vor allem eine große emotionale Stütze. Diese Erfahrung hat auch Nina Hoffmann gemacht: „Mit Emily rückte für mich das Thema Rollstuhl und Behinderung, die Scham, mich ausschließlich über meinen Körper zu definieren, völlig in den Hintergrund. Auch, weil die Menschen um mich nun einen anderen Fokus hatten. Eben nicht den Rollstuhl, sondern den Hund. Und darüber wieder so eine Leichtigkeit miteinander zu finden, das hat Emily geschafft!“
Assistenzhunde machen einen hochqualifizierten Job. Aber auch ihre Menschen müssen einen großen Beitrag leisten. Für Nina Hoffmann war das ein zusätzlicher Gewinn: „Emily hat mich ehrlich gesagt aus meiner Komfortzone geholt. Ich musste den Rollstuhl nutzen. Ich musste meiner Verantwortung gerecht werden mit ihr ausgehen zu können, um sie auszulasten. Ich hatte also auch keine Möglichkeit mehr Zuhause zu hocken, in meinen vier Wänden, mich zu verstecken, sondern ich musste raus.“ Regelmäßig auch zum Training bei Vita. Denn es ist ein ständiger Prozess, damit Assistenzhund und Mensch ein perfekt eingespieltes Team bleiben.
Nach über 12 gemeinsamen Jahren musste sich Nina von ihrer „Emmy“ verabschieden. Von diesem unglaublichen Hund, der ihr Leben so sehr verändert hat: “Ich kann gar nicht sagen, wie viel Kraft mir Emily gegeben hat. Sie hat Dinge für mich getan, die keine Freunde, keine Familie leisten konnten. Diese Bedingungslosigkeit, diese Liebe, diese Annahme. Mir zu zeigen: Du bist toll – genau so, wie Du bist…“
Nina Hoffmann war klar, dass sie nicht mehr ohne Hund leben wollte: „Die Monate nach Emmys Tod waren die schlimmsten in den letzten 15 Jahren.“ Der Kontakt zu Vita war noch immer intensiv. Denn es gehört zum Konzept des Vereins, dass alle Teams ihr Leben lang begleitet werden. Und so fand Nina gemeinsam mit Vita-Gründerin Tatjana Kreidler eine neue Hündin – natürlich wieder eine schwarze Labrador-Dame: „Hazel ist eine wundervolle Mischung aus Power, Lebensfreude, absoluter Sensibilität und bedingungslosem `Will to please´. Ich kenne sie tatsächlich schon als Welpen, ich hab’ auch ihre Patenzeit miterlebt. Und als Tatjana mich fragte: `Magst Du Dir nicht noch einen anderen Hund anschauen?´ hab ich nur gesagt: `NEIN! Die oder keine!´“
Seit fünf Wochen lebt nun Hazel bei Nina in Köln. „Natürlich sind wir noch nicht so eingespielt wie ich es mit Emily war. Aber sie lernt gerne und schnell. Ich kann inzwischen nur noch meine Hände bewegen, die Arme nicht mehr“, erzählt Nina. „Und wenn mir der Arm von der Rollstuhl-Lehne runterfällt, kann ich ihn nicht selbständig wieder hochnehmen. Das heißt: sobald ich den Joystick verliere, hab ich keine Chance mehr. Und Hazel hat gelernt, mir die Arme wieder hoch zu schubsen. Außerdem schlüpft sie selbst in ihre Leine, wenn ich sie halte. Dafür muss sie auf meine rechte Seite wechseln, obwohl sie immer links geht. Das sind wahnsinnig komplexe Lernvorgänge für den Hund!“
Auch Hazel hat schon eine lange Ausbildung hinter sich. „Bis zum Alter von etwa 15 Monaten wachsen unsere Hunde bei Paten auf“, erklärt Tatjana Kreidler. „Das sind Menschen, die schon sehr viel Erfahrung in der Erziehung von Hunden haben. Sie berichten auch, ob sich ein Hund überhaupt als Assistenzhund eignet – also vor allem ruhig, ausgeglichen und lernfähig ist. Mit rund einem Jahr kommen die Junghunde dann zu uns. Wir trainieren unter anderem die typischen Assistenz-Tätigkeiten wie Türen öffnen, Gegenstände bringen oder Menschen beim Anziehen zu helfen.“ Im Ausbildungszentrum lernen sie auch die Menschen kennen, denen sie später zur Seite stehen. Bis sich ein Team gefunden hat, kann es schon ein paar Wochen dauern. Und dann beginnt die eigentliche Arbeit – die gemeinsame Bewältigung des Alltags zu Hause.
Die Ausbildung eines Assistenzhundes ist aufwändig und kostet durchschnittlich knapp 50.000 Euro. Krankenkassen übernehmen diese Kosten nicht. Deshalb ist der Verein Vita Assistenzhunde auf Spenden angewiesen. Doch Corona hat auch Vita hart getroffen. Die jährliche Charity-Gala musste absagt werden. Spendenaktionen zugunsten des Vereins fallen aus, da es kaum Firmenfeiern oder öffentliche Feste gibt. Dauerspender kündigen ihre Aufträge. In diesem Jahr fehlt das Geld in der Kasse – unklar, wie laufende Kosten gedeckt werden können.
Auch der Arbeitsalltag ist massiv eingeschränkt. Bewerbertreffen mussten abgesagt werden. Teambildungen konnten nur sehr eingeschränkt stattfinden. Sämtliche Aktivitäten wurden auf ein Minimum reduziert.
Wird Vita die Corona-Krise überstehen? Das fragt sich auch Frieda Krieger. Sie hat gerade ihr Abitur gemacht. Und zusätzlich eine Ausbildung zur Erzieherin. Über Vita kam Frieda an ihren Assistenzhund Fellow. Seit 11 Jahren sind die beiden ein Team. Friedas großer Traum wäre es, auch einmal für Vita zu arbeiten. Gerade hat sie dort ein vierwöchiges Praktikum absolviert. „Ich habe dem Verein, Tatjana und den Hunden – überhaupt den ganzen Menschen dort so viel zu verdanken und ich möchte auf jeden Fall später mal mit Kindern arbeiten. Und ich habe auch schon während meines Praktikums gemerkt, was für einen Einfluss Hunde auf Kinder haben.“
Aber Frieda hat auch mitbekommen, wie sehr der Verein mit den Folgen der Corona-Krise zu kämpfen hat. „Seien wir mal ganz ehrlich: Keiner will das und man möchte gar nicht darüber nachdenken – aber niemand weiß, wie es weitergeht. Es kann keiner sagen, wie lange Vita sicher ist. Und es kann auch keiner sagen, wie lange Tatjana das noch durchhält. Wenn ich mir diese Frau angucke – es ist so unglaublich, wie sie das seit 20 Jahren macht…“
Vielleicht ist es ja diese enorme Kraft, die Hunde Menschen geben. Frieda sagt auch, dass Fellow ihr Leben um 180 Grad gedreht hat. „Und ich bin sehr sehr dankbar für diesen wundervollen Hund, weil ich nicht wüsste, wo ich heute stehen würde, wenn er nicht gewesen wäre“. Und er hilft ihr immer noch! „Vor allem emotional“, sagt Frieda. „Er ist so eine Art kleiner Psychologe: Fellow war immer der Fels in der Brandung an meiner Seite. Den ich nur angeschaut habe und bei dem ich wusste, okay, wir werden das schon irgendwie alles hinbekommen.“
Wer den Verein Vita Assistenzhunde unterstützen möchte, findet alle wichtige Informationen auf der Website und auf der Vita-Facebook-Seite.
Kim
Ein wunderschöner Blogbeitrag! Vielen herzlichen Dank für die wundervollen Zeilen und die schönen Bilder. Ich hatte selbst eine VITA-Assistenzhündin, die mein Leben vollständig gemacht hat. Im Juli musste ich Birdie gehen lassen. Der Text hat mich sehr berührt.
Ich werde jetzt öfter im Blog vorbeischauen.
Liebe Grüße,
Kim
Bettina Bergwelt
Vielen herzlichen Dank für Deinen so schönen Kommentar, liebe Kim! Ich freue mich wirklich sehr darüber, dass Dir der Bericht gefällt! Und es tut mir wahnsinnig leid, das Du Dich von Deiner Birdie verabschieden musstest. Ich weiß genau, wie schlimm das ist! Seit Juli ist auch unser Goldie Spencer nicht mehr bei uns. Es wäre schön, Dich bei einer Vita-Veranstaltung persönlich kennen zu lernen und freue mich bis dahin über Deinen Besuch auf der Seite! Viele liebe Grüße!